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Schulische Gesundheitsförderung in Deutschland: Entwicklungen, Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Kategorien: Wissenschaft
22. August 2024

Die schulische Gesundheitsförderung spielt eine entscheidende Rolle für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. In einem im Bundesgesundheitsblatt veröffentlichten Artikel gibt Professor Peter Paulus einen umfassenden Überblick über die Entwicklung dieses Feldes in Deutschland seit der Ottawa-Charta von 1986 (Paulus, 2022). Der Beitrag analysiert die schulische Gesundheitsförderung aus drei Perspektiven – als Praxis-, Forschungs- und Politikfeld – und zeigt wichtige Chancen und Herausforderungen für die Zukunft auf. Für Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung bietet der Artikel wertvolle Einblicke in die Komplexität des Themas und Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung ihrer Arbeit.

Entwicklung der schulischen Gesundheitsförderung

1986: Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO verabschiedet
1989: Gesundheitsreformgesetz: Grundlage für kassenseitige Förderungen (§20 SGB V)
1992: KMK-Empfehlung „Zur Situation der Gesundheitserziehung in der Schule“
1993-1997: Modellversuch „Netzwerk Gesundheitsfördernde Schulen“
1998-2000: Modellprojekt „OPUS – Offenes Partizipationsnetz und Schulgesundheit“
2000: Erweiterung der Möglichkeiten für Gesundheitsförderung durch Krankenkassen
2003-2008: Modellprojekt „Anschub.de – Nationale Allianz für nachhaltige Schulgesundheit und Bildung“
2012: KMK-Empfehlung „Empfehlung zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule“
2013: DGUV-Fachkonzept „Mit Gesundheit gute Schulen entwickeln“
2015: Verabschiedung des Präventionsgesetzes
Heute: Aktuelle Herausforderungen und Weiterentwicklung umfassender Ansätze

Abbildung 1. Eigene Darstellung basierend auf Paulus (2022).

Haupterkenntnisse

1. Entwicklung verschiedener Ansätze der schulischen Gesundheitsförderung

Der Autor identifiziert drei grundlegende Realisierungsformen der schulischen Gesundheitsförderung, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben:

  • Der verhaltensbasierte Ansatz: Dieser fokussiert sich auf einzelne Gesundheitsthemen und Zielgruppen, meist Schüler:innen. Er umfasst oft standardisierte Interventionen zu spezifischen Gesundheitsaspekten wie Ernährung oder Suchtprävention.
  • Der Ansatz „Gesundheitsfördernde Schule“: Hier wird die gesamte Schule als Setting betrachtet. Ziel ist es, gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen, Prozesse und Strukturen für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft zu schaffen.
  • Der Ansatz „Gute Gesunde Schule“: Dies ist der aktuellste und umfassendste Ansatz. Er integriert Gesundheitsförderung in die Kernaufgaben der Schule und nutzt sie gezielt zur Verbesserung der Bildungsqualität.

Diese Entwicklung zeigt einen Trend hin zu umfassenden, systemischen Ansätzen, die Gesundheitsförderung als integralen Bestandteil der Schulentwicklung betrachten.

2. Herausforderungen in Forschung und Evaluation

Der Artikel weist auf signifikante Herausforderungen im Bereich der Forschung und Evaluation hin:

  • Viele Maßnahmen werden zwar evaluiert, oft aber mit einfachen Studiendesigns, die keine differenzierten Wirkungszusammenhänge aufzeigen können.
  • Bei Setting-Ansätzen ist die Durchführung von randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) oft nicht möglich.
  • Es fehlen systematische Reviews und Metaanalysen für den deutschsprachigen Raum.
  • Die Dissemination und Implementation von Forschungsergebnissen in die Praxis bleibt eine Herausforderung.

Diese Punkte verdeutlichen die Notwendigkeit, die Evaluationsmethoden weiterzuentwickeln und den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zu verbessern.

3. Politische Entwicklungen und ihre Auswirkungen

Der Beitrag zeichnet wichtige politische Entwicklungen nach, die das Feld der schulischen Gesundheitsförderung beeinflusst haben:

  • Das Präventionsgesetz von 2015 hat neue Möglichkeiten für die Finanzierung und Umsetzung von Maßnahmen geschaffen.
  • Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2012 betont die Bedeutung von Gesundheitsförderung als integralen Bestandteil der Schulentwicklung.
  • Das Fachkonzept der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) von 2013 unterstützt den Ansatz der integrierten Gesundheits- und Qualitätsentwicklung.

Diese politischen Rahmenbedingungen bieten eine Grundlage für die Weiterentwicklung und Implementierung umfassender Gesundheitsförderungskonzepte in Schulen.

Praktische Implikationen für Fachkräfte

Für Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung ergeben sich aus diesen Erkenntnissen mehrere wichtige Implikationen:

1. Umfassende Ansätze priorisieren

Die Entwicklung hin zu systemischen Ansätzen wie der „Guten Gesunden Schule“ zeigt, dass isolierte, themenspezifische Interventionen zunehmend an Bedeutung verlieren. Fachkräfte sollten daher verstärkt auf umfassende Konzepte setzen, die Gesundheitsförderung in die Gesamtentwicklung der Schule integrieren. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Schulleitungen, Lehrkräften und anderen relevanten Akteuren, um Gesundheitsaspekte in alle Bereiche des Schullebens zu implementieren.

2. Evidenzbasierung und Evaluation stärken

Angesichts der identifizierten Forschungslücken ist es wichtig, dass Fachkräfte bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen verstärkt auf Evidenzbasierung achten. Dies bedeutet:

  • Stärkere Nutzung vorhandener Evidenz bei der Konzeption von Interventionen
  • Implementierung robuster Evaluationsdesigns
  • Dokumentation und Veröffentlichung von Ergebnissen, um zur Wissensbasis beizutragen
  • Aktive Beteiligung an Forschungsprojekten und Netzwerken zum Wissensaustausch

3. Politische Rahmenbedingungen nutzen

Die beschriebenen politischen Entwicklungen bieten Chancen, die Fachkräfte aktiv nutzen sollten:

  • Nutzung der durch das Präventionsgesetz geschaffenen Finanzierungsmöglichkeiten
  • Ausrichtung von Konzepten an den Empfehlungen der KMK zur Integration von Gesundheitsförderung in die Schulentwicklung
  • Orientierung am DGUV-Fachkonzept zur Verknüpfung von Gesundheits- und Qualitätsentwicklung

4. Kompetenzentwicklung und interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die zunehmende Komplexität des Feldes erfordert kontinuierliche Weiterbildung und verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit. Fachkräfte sollten:

  • Ihre Kompetenzen in Bereichen wie Organisationsentwicklung, Qualitätsmanagement und Evaluation erweitern
  • Aktiv den Austausch mit Akteuren aus Bildung, Gesundheitswesen und anderen relevanten Sektoren suchen
  • In multiprofessionellen Teams arbeiten, um umfassende Ansätze umzusetzen

5. Fokus auf Nachhaltigkeit und Strukturentwicklung

Um die von Paulus kritisierte „Projektitis“ zu überwinden, sollten Fachkräfte:

  • Langfristige, in Schulstrukturen verankerte Konzepte entwickeln statt kurzfristiger Einzelprojekte
  • Schulen bei der Entwicklung eines nachhaltigen Gesundheitsmanagements unterstützen
  • Kapazitätsaufbau in Schulen fördern, damit diese Gesundheitsförderung eigenständig weiterführen können

Fazit

Der Artikel von Paulus zeigt deutlich, dass die schulische Gesundheitsförderung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht hat, aber auch vor wichtigen Herausforderungen steht. Für Fachkräfte in Prävention und Gesundheitsförderung bietet diese Entwicklung sowohl Chancen als auch die Notwendigkeit zur Anpassung ihrer Arbeit.

Die Zukunft liegt in umfassenden, systemischen Ansätzen, die Gesundheit als integralen Bestandteil der Schulqualität begreifen. Um dies umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung von Praxis, Forschung und Politik sowie eine kontinuierliche Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenzen. Gleichzeitig muss der Fokus verstärkt auf Nachhaltigkeit und strukturelle Verankerung gelegt werden, um über einzelne Projekte hinaus dauerhafte Wirkungen zu erzielen.

Die im Artikel aufgezeigten Entwicklungen verdeutlichen die zentrale Rolle, die schulische Gesundheitsförderung für die Gesundheit und Bildung von Kindern und Jugendlichen spielt. Fachkräfte in diesem Bereich haben die wichtige Aufgabe, diese Potenziale durch evidenzbasierte, umfassende und nachhaltige Ansätze bestmöglich zu nutzen und weiterzuentwickeln.

Literaturverzeichnis

Paulus, P. (2022). Schulische Gesundheitsförderung von Ottawa bis heute: Chancen und Herausforderungen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 65, 741–748. https://doi.org/10.1007/s00103-022-03550-x

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